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AutorenbildAmelie Marie Weber

Journalismus-Konferenz in Russland

Im Dezember 2019 reiste ich in das größte Land der Erde um dort gemeinsam mit anderen jungen Journalisten aus Deutschland, Russland und Osteuropa an einer Konferenz zum Thema "Moderner Journalismus" teilzunehmen. Mein Reise-Bericht.

Russland stand nie ganz oben auf meiner To Do-Liste. Ich habe mir das größte Land der Erde ehrlich gesagt immer sehr kalt und unfreundlich vorgestellt. Was ich von Präsident Putin und insbesondere seinem Umgang mit Pressefreiheit halte, möchte ich gar nicht erst zu beschreiben beginnen. Doch dann sah ich eine Ausschreibung des Deutsch-Russischen Forums. Mit Unterstützung des Auswärtigen Amts lud der Verein zum 16. Mal zum sogenannten Medienforum ein. Das Thema der Konferenz: „Moderner Journalismus und Fact-Checking“. Junge Journalisten, Dozenten und Medienleute treffen sich dafür in der russischen Stadt Woronesch. Es klang zu spannend, um mich nicht zu bewerben. Vier Wochen später saß ich im Flugzeug nach Russland.

Wo sonst kann man sich ein so gutes Bild der Pressefreiheit in Russland machen?

Tag 1: Privet, Russia!

Ich komme am Nachmittag in Woronesch an. Eine Stadt, von deren Existenz ich bis vor wenigen Wochen nicht mal wusste. Dabei hat sie immerhin eine Millionen Einwohner. Woronesch oder Voronezh liegt 500 km südlich von Moskau und gilt als wichtigstes Zentrum im südlichen Zentralrussland. Am Flughafen empfangen mich bereits Studenten der Woronescher Universität. An ihrer Uni wird der Großteil der Konferenz stattfinden. Zunächst fahren sie mich jedoch zum Hotel, wo ich die anderen Teilnehmer kennenlerne. Rund 40 Medienschaffende aus Deutschland, Österreich und Russland – jeder Einzelne mit beeindruckender Biografie und beruflicher Erfahrung. Die Besetzung ist vielversprechend. Nach einer kleinen Führung durch das Stadtzentrum, bei dem uns fast die Füße abfrieren und ich feststelle, dass auch eine Millionenstadt wie ein Dorf wirken kann, essen wir Schaschlik, plaudern ein wenig und gehen dann früh schlafen, denn auf uns warten anstrengende Tage.


Tag 2: „Ich habe keine Handynummer vom Kreml“

Artem Lysenko, der Leiter des Moskauer Büros des Deutsch-Russischen Forums begrüßt uns herzlich. Er kann, wie die meisten russischen Teilnehmer der Konferenz, äußerst gut Deutsch. Da ich kein Wort Russisch spreche, bin ich jedoch auch auf die beiden Dolmetscher angewiesen, die während der gesamten Konferenz einen großartigen Job machen und dafür sorgen, dass jeder in der eigenen Sprache sprechen kann und dennoch immer von allen verstanden wird. Der erste Tag hat es in sich: Wir hören Vorträge zu Medienfreiheit, Open Data, Recherchetechniken, Urheberrecht und Mobile Reporting.


Die Kaffeepausen zwischendurch nutzen wir, um einander näher kennenzulernen. Da ist Eva aus Hamburg, die unter anderem für die Tagesschau arbeitet, Ekaterina, die in Russland Germanistik studiert und bereits ein Praktikum bei der Superillu in Berlin absolvierte oder Nermin, die aus Wien kommt und für die Deutsche Welle arbeitet. Am späten Nachmittag findet eine Podiumsdiskussion statt. Prof. Mike Friedrichsen, Gründungspräsident der University of Digital Science in Berlin, ist angereist um unter anderem mit Alekseij Orlow, dem Leiter des russischen Rundfunks Sputnik, zu diskutieren. Kritiker sehen Sputnik als Werkzeug der russischen Regierung, um eigene Propaganda zu verbreiten. Auf die Frage, inwiefern er und seine Kollegen zensiert werden, antwortet Orlow: „Das ist Blödsinn. Ich habe keine Handynummer vom Kreml und sie haben auch nicht meine.“ Der Russe wurde von Putin bereits mit einer Ehrenurkunde für seinen „großen Beitrag an der Entwicklung der russischen Journalistik“ ausgezeichnet.


Ich glaube ihm kein Wort und bin doch glücklich, einem solchen Menschen meine Fragen stellen zu können. Wann sonst hat man die Gelegenheit, sich ein Bild von der Pressefreiheit in einem anderen Land zu machen? Am Abend werden wir in einem schicken Restaurant empfangen. Jens Beiküfner, Leiter des Referats für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit an der Deutschen Botschaft Moskau, begrüßt uns freundlich und spricht auch Probleme an, die es im russischen Journalismus gibt. Ich bin froh, dass sich die meisten trauen, die Missstände anzusprechen. Es ist eben keine Propaganda-Veranstaltung, sondern ein sehr offener und ehrlicher Austausch. Der Abend ist gesellig und schön.


Tag 3: Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Auf dem Index der Pressefreiheit von „Reporter ohne Grenzen“ steht Russland auf Platz 148 von 180. Zum Vergleich: Deutschland erreicht Platz 13. Gerade in den letzten Jahren erließen Putin und seine Regierung wieder zahlreiche Gesetze, die die Pressefreiheit und vor allem die Freiheit von Bloggern und Medienschaffenden im Netz stark einschränken. Lösch-Gesetze, Anti-Fake-News-Gesetz, Gesetze gegen Majestätsbeleidigung, Verbot von (homo-)sexueller Propaganda. Hinzu kommen viele „ungeschrieben Gesetze“, an die sich doch die meisten halten, aus Angst vor Verfolgung oder Gefängnis. Als Russin wüsste ich wohl gar nicht mehr, was ich überhaupt noch sagen darf. Selbstzensur ist hier allgegenwärtig.


Wie also gehen Journalisten und Redaktionen in Russland mit diesen Einschränkungen um? Wie arbeiten sie? Um das herauszufinden, besuchen wir die Redaktion der „Komsomolskaja Prawda“, die zu den erfolgreichsten Zeitungen Russlands gehört und in 62 Regionen hergestellt wird. Zur Woronescher Redaktion gehört außerdem ein Lokalradiosender. Der freundliche Redakteur berichtet uns von Herausforderungen, die ich aus dem Arbeitsalltag in Deutschland nur allzu gut kenne: crossmedialer Journalismus wird immer wichtiger, die Printauflagen sinken, Anzeigen und redaktionelle Inhalte sollen getrennt sein… Kommt mir alles sehr bekannt vor! Aber als ich im Flur gleich mehrere gerahmte Fotos von Putin sehe, wird mir klar, dass ich mich doch wirklich glücklich schätzen kann und die Umstände in Deutschland noch deutlich schlechter sein könnten.


Tag 4: Nastrovje!

Der letzte Seminartag beginnt in einem wunderschönen Herrenhaus am Rande der Stadt. Es gehört der Familie Losev-Schatilovyh-Stahl von Holstein und vereint russische und deutsche Geschichte. Wie bereits an den Tagen zuvor ist die Anfahrt, die Führung, die Verpflegung – einfach alles - perfekt geplant. Julia Hofmann, die Organisatorin des Deutsch-Russischen Medienforums hat großartige Arbeit geleistet und es uns Teilnehmern stets unglaublich leicht gemacht, in Russland zurechtzukommen. Dafür bin ich sehr dankbar, denn das Reisen in diesem Land ist eine viel größere Herausforderung als ich dachte. Kaum einer spricht Englisch, selbst Flughafenpersonal oder Taxifahrer, auf die ich treffe, können nur Russisch. Die kyrillischen Buchstaben sind für mich absolut rätselhaft und die Gepflogenheiten auf den Straßen sind schlichtweg andere.


Die Tatsache, dass ich mich dennoch stets gut aufgehoben und sicher gefühlt habe, ist vor allem dem Forum und Julia Hofmann zu verdanken. Nach dem Besuch im Herrenhaus befassen wir uns in einem Vortrag des Journalistentrainers Clemens Schöll mit Herausforderungen für Journalismus und Medienfreiheit in Deutschland und Osteuropa. Ein Workshop zu Fact-Checking-Prinzipien und zur Verifizierung einzelner Informationen rundet die gelungene Konferenz ab. An unserem letzten Abend sitzen wir gemeinsam in einer Bar. Die Teilnehmer, die Dozenten, die Dolmetscher, die Organisatoren – sie alle sind mir ans Herz gewachsen. In nur wenigen Tagen sind internationale Freundschaften entstanden, die sicherlich über das Ende dieses Forums hinaus andauern werden. Nastrovje, Russia!


Tag 5: Do svidaniya!

Wie immer, wenn es besonders schön ist, sind die Tage in Russland geradezu verflogen. Als ich in das Flugzeug steige, das mich über Moskau zurück nach Berlin bringt, lächle ich. Was für eine Erfahrung! Die Tage waren anstrengend und voller Input. Ich werde wohl noch einige Wochen benötigen, um all die Eindrücke einzuordnen und zu verarbeiten. Doch was ich jetzt schon sicher weiß ist, dass ich diese Reise jederzeit wieder antreten würde. Es lohnt sich eben immer, den eigenen Horizont zu erweitern. Gerade in diesem Beruf, den ich so liebe..


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