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Südafrika - 100 Kilometer in vier Tagen

Für FOCUS Magazin bin ich im Mai 2019 in vier Tagen 100 Kilometer durch das höchste Gebirge Südafrikas gewandert. Gemeinsam mit hundert Menschen aus der ganzen Welt, die Geld für Kinder in Not sammelten. Doch nicht nur die Kinder profitierten von diesem Abenteuer. Ein Reise-Tagebuch.

Tag 1: 32/100 km

Als die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne die gewaltigen Berge in ein intensives Rot-Orange färben, sind wir schon seit fast einer Stunde unterwegs. Um 6 Uhr haben wir uns in der Dunkelheit auf den Weg gemacht. Wir, das sind 100 Menschen aus der ganzen Welt, mit einer gemeinsamen Mission: In den nächsten vier Tagen wollen wir 100 Kilometer durch die Drakensberge wandern. Woher das höchste Gebirge Südafrikas seinen Namen hat, ist schnell klar: die seltsam geformten Berge, die sich aus dem Buschland erheben, erinnern an die Schuppen eines Drachen. Im Osten des Landes zieht sich die Gebirgskette von Norden nach Süden. Grüne Hügel und eine ziegelartige Felslandschaft prägen die einzigartige Natur. Obwohl es gerade Winter ist, hat die südafrikanische Sonne viel Kraft. Haben wir in der Nacht noch bei fast 0 Grad in unseren Zelten gefroren, ist es nach Sonnenaufgang schnell an der Zeit, die Jacken auszuziehen und im Rucksack zu verstauen. Manche der Teilnehmer sind bereits geübte Wanderer, andere – darunter ich - tragen zum ersten Mal richtige Wanderschuhe. Gemein haben alle den Grund für ihre Reise nach Südafrika: Sie sammeln Spenden für Laureus Sport for Good, eine Stiftung, die soziale Sportprojekte auf der ganzen Welt fördert. Bereits Monate im Voraus haben die Teilnehmer ihr Fundraising gestartet. Im Internet und auf sozialen Medien erzählten sie von ihrem bevorstehenden Abenteuer und baten Freunde und Bekannte um Spenden für den guten Zweck.


„Bei Charity-Veranstaltungen geht es schon lange nicht mehr nur um Pferderennen und Golfturniere“, sagt Lucy Bennett-Baggs, die das Event mit ihrer Firma „Just Challenge“ organisiert hat. Menschen gehen an ihre Grenzen, machen unvergessliche Erfahrungen und tun gleichzeitig etwas Gutes. Das ist das Prinzip hinter „Just Challenge“. Also los! Über Steine, Wurzelwerk und durch dorniges Gestrüpp führen uns die Bergführer immer weiter durch das Champagne Valley. Schaumwein suche ich hier jedoch vergeblich und ich bin sowieso viel zu sehr damit beschäftigt, auf den steinigen Weg zu achten. Hin undwieder muss ich mich selbst daran erinnern, aufzublicken und die Schönheit der Landschaft um mich herum wahrzunehmen.


Als wir am ersten Gipfel ankommen, rinnt uns der Schweiß bereits in Strömen von der Stirn. Wir schauen auf die unendlich scheinenden Weiten der Drakensberge. Friedlich liegen sie vor uns. Stille. Irgendwo knurrt ein Magen. Zum Glück ist für Lunch-Pakete gesorgt. Noch nie hat mich ein ungetoastetes Toastbrot so glücklich gemacht. Doch es bleibt nicht viel Zeit, unter den schattenspendenden Bäumen auszuharren. Wir sind schon seit fünf Stunden unterwegs und haben nicht einmal die Hälfte der heutigen Strecke hinter uns. Also laufen wir weiter. Es ist weit, es ist heftig, viel härter als ich dachte. Aber die Natur ist unbeschreiblich schön.Nach einer Weile sehen wir Champagne Castle, den mit 3377 Metern zweithöchste Berg Südafrikas. Auf der grasigen Ebene zu seinem Fuße weht eine sanfte Brise. Aus der Ferne sehen wir eine Pavianfamilie, die schnelldas Weite sucht.


Wunderschön, wirklich. Aber nach mehr als 30 Kilometern Fußmarsch haben wir langsam genug. Ich fühle mich an Waldspaziergänge in Kindheitstagen erinnert, bei denen ich mich trotzig auf den Boden setzte und meinen Eltern mitteilte, dass ich nicht mehr weiterlaufen wolle. Schon damals half das nichts. Zum Schluss wandern wir für mehr als eine Stunde steil bergab. Meine Knie finden das ungefähr so lustig wie meine Eltern damals meine Trotz-Anfälle. Als wir endlich in den Bus steigen, der uns zurück zum Camp bringt, geht die Sonne gerade über den Bergen unter und ich frage mich, wie um alles in der Welt meine Beine noch drei weitere Tage überstehen sollen.

"Jeden Meter, den ich gehe, laufe ich für die Kinder, denen das Geld zu Gute kommt" - Robin Mellecker

Tag 2: 50/100 km

Als der Wecker am nächsten Morgen um 04:45 Uhr klingelt und ich mich aus dem Schlafsack winde, sind meine Füße angeschwollen. Robin Mellecker, eine Amerikanerin, mit der ich mir das Zelt teile, stöhnt ebenfalls vor Schmerz. Die gestrige Tour hat uns allen mehr abverlangt als wir dachten und die Nacht im kalten Zelt hat nicht gerade zur Regeneration beigetragen. Beim gemeinsamen Frühstück schweigen die meisten und schauen etwas apathisch in ihre Kaffeetassen. Doch wir haben noch 68 Kilometer vor uns. Und so machen wir uns in aller Frühe wieder auf den Weg.


„Jeden Meter, den ich gehe, laufe ich für die Kinder, denen das Geld zu Gute kommt“, sagt Mellecker. Sie selbst ist Privatdozentin für Gesundheitsforschung an der Universität Hong Kong und weiß, dass Sport das Leben junger Menschen nachhaltig verändern kann. Kinder aus benachteiligten Familien, denen Halt und Hoffnung fehlt, finden beim Schwimmen, Fußball oder Rugby nicht nur ein Hobby, sondern auch Freunde, Motivation und bessere Lebenschancen. Doch Sportplätze, Trainingsstunden und die teure Ausrüstung können sie sich oft nicht leisten. Dafür gibt es Laureus Sport und Unterstützer wie Robin Mellecker. Auf ihren Social Media Profilen hat die 50-Jährige dazu aufgerufen, Geld für Laureus zu spenden. Fast 20 000 US Dollar hat sie zusammen bekommen. Mit dem Smartphone in der Hand dankt die hagere, sportliche Frau per Videobotschaft allen, die gespendet haben. „Ich bewege mich sowieso gerne draußen in der Natur und freue mich, der Welt gleichzeitig etwas zurückgeben zu können“.


Nach einigen Stunden erreichen wir einen Wasserfall. Das kühle Wasser rauscht in das von der Natur gemauerte Becken, das im Schatten hoher Bäume liegt. Die Steine sind von Moos überwuchert. Es fordert Mut, über den Fluss zu springen. Wir reichen einander die Hände. Da sind Barbara und David aus Großbritannien, Marc aus Schweden und Simon aus den Arabischen Emiraten. Sie alle sind erfolgreiche Unternehmer, tätig in der Finanzbranche, Tech Start Ups oder der Autoindustrie. Beim Laufen bleibt viel Zeit zum Kennenlernen. Wir sprechen über die Arbeit, aber auch über Politik, Familie, Träume. Die besten Orte, an denen wir je waren und die, an die wir noch reisen wollen. Wir helfen einander, steile Abhänge hinunter zu klettern und warnen uns gegenseitig vor Dornen, die sich immer wieder hartnäckig in die Wanderhosen bohren.


Ich höre auf zu denken und setze nur noch einen Schritt vor den anderen. Immer nach oben. Nach 18 Kilometern erreichen wir das Camp. Es befindet sich in Spion Kop, einem Naturreservat, 38 Kilometer südwestlich der Stadt Ladysmith. Am Ufer des großen Spion Kop Dammes sind bereits unsere Zelte aufgebaut. Nach wenigen Minuten haben die Ersten ihre Wanderkleidung in Bikini und Badehose getauscht und springen in das angenehm kalte Wasser. Die geschundenen Füße versinken im feuchten Sand am Grund. Wir trinken ein kühles Bier. Wunderbar. Am Abend sitzen wir gemeinsam um ein großes Lagerfeuer. Am Himmel sehen wir den Planeten Jupiter und das Sternbild Skorpion. Die Sterne leuchten heller hier, in Südafrika. Ein Einheimischer ist gekommen, um uns die Geschichte der Schlacht von Spion Kop zu erzählen. „Im Januar 1900 verloren die Briten hier gegen die Buren, die europäischstämmigen Einwohner Südafrikas“, sagt er. Das Feuerholz knackt und das warmeLicht erhellt die Gesichter der gespannten Zuhörer. „Oben auf dem Gipfel des Spion Kop schwenkten die Buren damals triumphierend ihre Fahnen“. Ehrfürchtig blicken wir hinauf. Morgen werden wir den Gipfel selbst bezwingen.


Die Hälfte ist geschafft!

Tag 3: 76/100 km

Dass dieser Gipfel nicht nur gefühlt Welten entfernt liegt, wird uns schnell klar. Über ausgesetzte, sonnenverbrannte Graspfade und durch Büsche, deren Äste uns ins Gesicht schlagen, bahnen wir uns den Weg nach oben. Stundenlang bergauf. Wir begegnen wilden Giraffen, die uns mit großen Augen anschauen. Mittlerweile hinterfrage ich nicht mehr, ob ichnoch Lust habe, zu laufen. Ich laufe einfach. Heute ist es besonders warm. 27 Grad. Wir machen beinahe unter jedem Baum am Wegesrand Halt, um Kraft im Schatten zu sammeln. Frederik Gollob sitzt im Gras und trinkt aus seiner Wasserflasche. Auf dem Kopf trägt er eine weiße Mütze mit großem Mercedes Benz-Stern. Auch auf seinem blauen T-Shirt ist das Logozu sehen. Gollob ist CEO von Mercedes Benz in Hong Kong und – außer mir - der einzige Deutsche, der an der Challenge teilnimmt. Fundraising sei in Deutschland noch nicht ganz angekommen, meint Gollob. „Wir Deutschen fragen andere einfach nicht gerne nach Geld. Selbst, wenn es für den guten Zweck ist“, sagt er. Auch ihm sei das Spendensammeln anfangs nicht leichtgefallen. Trotzdem ist er auf Freunde und Kollegen zugegangen und hat ihnen von dem Projekt erzählt. „Ich schwitze, ihr spendet“ war sein Motto. Mercedes Benz und Laureus sind schon lange Kooperationspartner. „Ich finde es großartig, mich durch das Wandern auch ganz persönlich einbringen und noch viel intensiver mit dem Projekt beschäftigen zu können“, sagt der 38-Jährige. Besonders freue er sich über die inspirierenden Menschen, denen er hier begegnet.


Doch manchmal lässt sich Gollob auch zurückfallen, schweigt, genießt die Stille und die gewaltige Schönheit der Natur. Die rundlichen Hügel, die sich hinter dem Grasland aufbäumen, sind teils grün bewaldet, teils schaut nackter Fels heraus. 26 Kilometer legen wir an diesem Tag zurück. Nach jeder Wegbiegung halten wir sehnsüchtig Ausschau nach der Unterkunft. Als wir sie erreichen, spüre ich meine Füße kaum mehr. Am Abend haben die beiden mitgereisten Ärztinnen wieder viel zu tun. Fast die Hälfte der 100 Teilnehmer hat inzwischen riesige, schmerzende Blasen. Einige werden morgen nicht mehr laufen können. Auch meine Zeltpartnerin Mellecker humpelt und beißt bei jedem Schritt tapfer die Zähne zusammen. „Ich nehme hier definitiv mehr Schmerzmittel als ich sollte“, gibt sie zu. Doch Aufgeben ist nicht drin.

"Es ist ein gute Gefühl, Gutes zu tun."

Tag 4: 100/100 km

Ein letztes Mal machen wir uns an diesem Morgen gemeinsam auf den Weg. Auch heute begegnen uns kaum andere Wanderer. Südafrika ist keine typische Wandernation. Dabei mangelt es an schönen Bergen wahrlich nicht. Dafür allerdings an Wegweisern, Hütten und markierten Pfaden. Ohne unsere einheimischen Guides wären wir völlig verloren. Die samtgrünen Hänge scheinen unberührt. Bartflechten schwingen von moosgepolsterten Ästen, dornige Würgefeigen wickeln sich um die knochigen Bäume.


Die meisten Teilnehmer sind besonders privilegierte Menschen, die sich darüber unterhalten,wie viele hundert Dollar die eigenen Kinder wohl an Taschengeld vertragen oder an welchen Privatschulen sie unterrichtet werden. Doch mit Taschenlampe auf dem Kopf, Blasen an den Füßen und einem Toast im Rucksack sind wir doch alle ziemlich gleich. Als wir ein wenig später fünf Zebras am Wegesrand entdecken, bleiben wir selbstverständlich für die obligatorische Foto-Pause stehen. Indem die Teilnehmer Fotos vonder Reise posten, wollen sie bisherige Spender an der Erfahrung teilhaben lassen und ihre Bekannten und Freunde motivieren, weiter Geld beizusteuern. Cassie aus China jubelt beim Blick auf ihr Smartphone: „Gerade ist noch eine Spende eingegangen“. Heute Abend werdenwir erfahren, wie viel letztlich zusammengekommen ist. Vorausgesetzt natürlich, wir schaffen es ins Ziel.


Die Füße tun weh, die Waden sind verhärtet, doch wir singen dennoch fröhlich vor uns hin. „In the jungle, the mighty jungle, the lion sleeps tonight“. Liegt es daran, dass das Ziel in Sicht ist? An den langen Wanderungen der Vortage? Daran, dass wir Freunde geworden sind? Ich weiß es nicht, aber an diesem Tag tragen mich meine Füße wie von selbst. Als wir am Nachmittag zusammen ins Ziel laufen, fallen wir einander in die Arme. Vier Tage. 100 Kilometer. Wir haben es geschafft. „Die glücklichen Gesichter beim Lauf über die Ziellinie zu sehen, ist unbeschreiblich. Da zahltsich meine Arbeit aus“, sagt Organisatorin Bennett-Baggs. Bei der großen Abschiedsparty am Abend zeigt sich, dass doch noch recht viel Energie in uns steckt. Eine Live-Band spielt. Wir tanzen, trinken und sind ziemlich stolz, als Bennett-Baggs verkündet, wie viel Geld wir sammeln konnten: Mehr als 400.000 US Dollar. Die Gruppe jubelt. Es ist ein gutes Gefühl, Gutes zu tun. Doch diese Challenge verändert nicht nur das Leben tausender bedürftiger Kinder. Sie hat auch uns, die Teilnehmer, verändert und uns gezeigt, was außerhalb der Komfortzone möglich ist. Ich bin dankbar. Dankbar für die Schönheit Südafrikas, für neue Freunde, die vor wenigen Tagen noch Fremde waren unddafür, dass ich mir selbst bewiesen habe, wie weit ich zu gehen bereit bin.




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